Dramatischer Abstieg
Ungeduldig stand ich mit meinem Kumpel in einer großen, in blau gekleideten Menschenansammlung, die sich vor dem Rostocker Rathaus versammelt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war ich 12 Jahre alt und hatte aus diesem Grund nicht so ganz auf dem Radar, was an diesem Tag für den FC Hansa eigentlich auf dem Spiel stand. Etwa eineinhalb Wochen zuvor saß ich wie ein Schluck Wasser vor dem TV-Bildschirm und erlebte, wie unsere Jungs eigentlich die beste Saisonleistung ablieferten – zumindest in der Offensive. Ganze 4 Tore schossen Mintal und Co. gegen die Eisernen aus Berlin „An der Alten Försterei“. Doch am Ende ist der Fußball ein ganz einfaches Rechnungsspiel: Wenn der Gegner ein Tor mehr erzielt, haste eben Pech gehabt. Und so musste ich mit ansehen, wie unserem Torhüter Jörg Hahnel die Bälle nur so um die Ohren flogen. 4:5 hieß es am Ende eines höchst spektakulären Spiels, wovon sich die Kogge allerdings nichts kaufen konnte. Der abermalige Abstieg in die 3.Liga stand fest, Und ich war untröstlich; wollte zähneknirschend mit dem runden Leder erstmal nichts mehr zu tun haben.
Tohuwabohu im Klassenzimmer
Was ich allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Das richtige Entscheidungsspiel stand für den FC Hansa erst noch an. Und das fand nicht auf dem Feld, sondern im Rathaus statt. In der Schule gab es an jenem Tag kein anderes Gesprächsthema. „Heute wird um die Zukunft unseres Vereins entschieden“, hörte ich eine Klassenkameradin zu unserer Deutschlehrerin sagen. „Gehen Sie auch hin zu dieser Demo?“. Die Antwort werde ich wohl nie mehr erfahren, da mir meine Trinkflasche just in diesem Moment volles Röhr aus dem Schulranzen gefallen war und diese gefühlt das ganze Klassenzimmer mit Johannisbeersaft beölte. Sollte das etwa den Todesstoß für die Kogge symbolisieren?
Nach dem Sportunterricht entschloss ich mich, zusammen mit meinem Dorfkumpel, schnurstracks in die Stadt zu fahren. Die ganze Sache hatte uns kleinen Bubs keine Ruhe gelassen. Wir wollten die finale Entscheidung so schnell wie möglich erleben. Live – in Farbe und Stereo. Und dennoch war es für uns irgendwie eine Art ‚Spaßveranstaltung‘, wo der eigentliche Ernst der Lage uns im ersten Moment nicht wirklich bewusst war. Die riesige Menschentraube vor dem Rathaus, gespickt mit riesigen Bannern und prägnanten Sprechchören, beeindruckte uns, weshalb wir entschieden, das Geschehen aus weitere Entfernung zu beobachten.
Steigende Nervosität
Es war mittlerweile spät am Nachmittag und die Verkündung über das finale Ergebnis der Bürgerschaft rückte immer näher. Je länger wir den tosenden Menschen zusahen und in die zugleich besorgten Gesichter blickten, desto mehr wurde uns klar, dass dieser Tag kein gewöhnlicher war. Eine ganze Stadt, gar das gesamte Bundesland hielt den Atem an. Ich kann mich noch dunkel dran erinnern, dass sich ein Vater mit seinen zwei Kindern zu uns gesellte und vor Nervosität immer wieder hin und her lief und dabei das Wort Bitte so oft wiederholte, wie ich es seitdem nicht mehr erlebt habe. Er steckte uns förmlich damit an. Dann drückte auch noch die Blase.
Partytime
Doch dann war es endlich soweit! Das Mikrofon wurde angeschaltet und urplötzlich wurde es für kurze Zeit gespenstisch still auf dem Neuen Markt, ehe auf diese Stille ein unfassbarer Jubelsturm losbrach: „Die Bürgerschaft hat sich für die Rettung unseres Herzensvereins entschieden“, schallte es aus dem Mikrofon. Der Rest ging im Freudentaumel unter. Fremde lagen sich in den Armen. Der Vater klatschte lautstark mit uns ab, ehe wir vor Freude in die Luft sprangen. Wir waren damals mittendrin. Mittendrin in der Hansa-Familie!

*Der Rettungsschirm setzte sich aus 3 Teilen zusammen: Kauf eines Trainingszentrums (500.000 Euro) von der Stadt Rostock; Teilerlass der Schulden in Höhe von 4,5 Millionen Euro, sowie einer sofortigen Hilfe von 750 000 Euro.