Warum Lukas Hinterseer zentraler Bestandteil des Erfolges unter Alois Schwartz
Den Satz „Der FC Hansa Rostock hat ein Stürmerproblem“ würden wohl beinahe alle unterschreiben. Die letztjährige Lebensversicherung John Verhoek konnte seinen Vorjahrestrend nicht bestätigen, magere 2 Ligatore erzielte der 34-jährige Niederländer. Angreifer Breier und Munsy erfüllen die Voraussetzung für den stammspielenden Neuner in Hansas System nicht. Zudem überzeugte Munsy in 9 Ligaspielen kaum, Breier fiel den Großteil der Saison aus. Mit großen Vorschusslorbeeren verpflichtete Hansa gegen Ende des letzten Sommertransferfensters Lukas Hinterseer aus Hannover. Der österreichische Stürmer spielte für Hannover 96 zwar die schwächste Saison seiner Karriere, verfügt aber über große Erfahrung, auch auf internationalem Niveau. Einst erzielte der heute 32-jährige 9 Bundesligatore in 56 Spielen für den FC Ingolstadt. Hinzukommen 52 Zweitligatore in 165 Einsätzen über 7 Saisons. Dies entspricht im Durchschnitt knapp 11 Toren pro 34 Spielen. Zudem ist er 13-facher österreichischer Nationalspieler. Trotz der Karrieredelle am Maschsee verpflichtete man einen Spieler, dessen Anstellung 3 Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wäre.
Man kann jedoch festhalten, dass Hinterseer eher an die Form aus Hannover anknüpfte, als dass er Leistungen wie im Dress von Bochum oder Ingolstadt zeigt. Der routinierte Mittelstürmer agiert oftmals unglücklich, wirkt auf viele harmlos und schwerfällig. Hinterseer traf bis zur Winterpause lediglich einmal, spielte zudem aus privaten und leistungstechnischen Gründen keine Rolle zum Rückrundenauftakt: Patrick Glöckner berief ihn in den ersten 6 Spielen nicht in den Spieltagskader. Und die Masse schreit: welch ein Flop von Piekenhagen.
Hansa in Abstiegsnot, Retter Schwartz reißt das Ruder rum
Der glorreiche FCH scheint am Boden. Nach 28 Spieltagen findet man sich auf Platz 17 wieder. Gerade einmal 25 Punkte auf dem Konto, das Steckenpferd der Offensive ist pure Harmlosigkeit und die Hoffnung schwindet dahin. Trainer Alois Schwartz verbuchte mit 0 Punkten und 2 zu 9 Toren aus 3 Spielen eine Horrorbilanz. Scheitert der Trainer, ist das Abenteuer 2.Liga vorbei und man tritt, reumütig, die große Chance verpasst zu haben, sich in Liga 2 zu etablieren, den Gang in Liga 3 an. Doch Schwartz gelingt die Wende. Unter seiner Ägide legte man eine beeindruckende Serie hin, gewann 5 der letzten 6 Spiele und sicherte so den Ligaverbleib.
Schwartz entpuppte sich als Fan des altbekannten Mottos „Never change a winning team“. Stets setzte er auf dieselbe Startelf, sofern alle Spieler zur Verfügung standen. Immer mit dabei: Stürmer Hinterseer. Zwar erzielte der Österreicher kein einziges Tor in der jungen Ära Schwartz, doch ist er für mich elementar innerhalb des gespielten Systems. Aufgrund seiner Offensivleistung verschrien, ist er dennoch einer der zentralen Säulen des Aufschwungs.
Hinterseer: eine schwache Saison?
Schaut man auf die Zahlen und Leistungsdaten Hinterseers, sieht man einen Stürmer, der offensichtlich eine schlechte Saison ablieferte. Laut FutMob kommt Hinterseer auf 3,0 expected Goals in 22 Einsätzen – er liegt in den erwarteten Toren hinter Defensivspieler Malone, der auch ohne den geschossenen Elfmeter gegen Fürth einen höheren Wert aufweisen würde. Laut Bundesliga.de registrierte er nur 15 Schüsse aufs Tor. Ebenso vergab er 4 Großchancen. Die Zahlen sprechen, wie erwähnt, eine deutliche Sprache. Lediglich die defensiven Statistiken weisen eine gewisse Positivität auf: Hinterseer befindet sich in Sachen Zweikampfführung stets im oberen Mittelfeld der Angreifer und ist zudem sehr fair.
Lukas Hinterseer und Schwartz-Ball
Um zu verstehen, warum er so elementar für das Rostocker Spiel ist, lohnt es sich einen Blick auf das von Schwartz favorisierte System zu werfen. Realtaktisch gestaltet sich das nominelle 3-5-2 eher als 4-4-2, mit einer gewissen Asymmetrie. Im Spiel bekleidet Roßbach die Linksverteidiger-Position, Schumacher rückt ins Mittelfeld und nimmt sich der linken Außenbahn an. Die rechte Außenbahn bespielt Kai Pröger, der dabei jedoch etwas offensiver als Schumacher agiert. Die Doppelspitze besteht aus einer hängenden Spitze und einem Zielspieler: Fröling bildet dabei das Bindeglied zwischen Mittelfeld und Zielspieler Hinterseer. Im Offensivspiel gestaltet es sich meist so, dass ein langer Ball Richtung Hinterseer geschlagen wird. Dieser soll den Ball festmachen und lässt sich dabei ins Mittelfeld fallen. Die schnellen Schumacher, Pröger und Fröling erhalten so Räume und die Chance auf den zweiten Ball, da mindestens ein Defensivspieler Hinterseer folgt und die Abwehrkette so auseinandergerissen wird. Perfektes Beispiel dafür ist Frölings Tor gegen Sandhausen. Aus der Defensive wird ein langer Ball geschlagen, Hinterseer verlängert knapp hinter der Mittellinie per Kopf auf Fröling, der viel Platz hat und ein bestechendes Solo hinlegt.


Weiterhin ist Lukas Hinterseer ein sehr fleißiger Stürmer: die Heatmap, die berichtet, wo sich ein Spieler während des Spiels aufhält, zeigt variable Positionierung: Er liest das Spiel, rotiert nach außen oder ins Mittelfeld und hilft sogar hinten aus. Gegen Regensburg verhindert er eine Großchance, in dem er vor dem einschussbereiten Regensburger Stürmer klärt. Das alles zeigt: Hinterseer ist kein Egozentriker, er arbeitet für das Team.

Hinterseer und Verhoek: Das Stürmerduell
Dennoch könnte man die Frage stellen, warum Hinterseer gespielt hat und nicht Verhoek. Auch der Niederländer besticht durch Physis, Einsatz und Leidenschaft. Statistisch gesehen, ist Verhoek der bessere Offensivspieler: 5,8 erwartete Tore und 38 Schüsse aufs Tor sprechen eine deutliche Sprache. Jedoch vergab er 6 Großchancen und erzielte ebenfalls nur 2 Ligatore. Auch die Positionierung betreffend, agiert er leicht offensiver. Seine Zweikampfwerte sind stark, Verhoek gewann mehr Duelle am Boden und in der Luft als sein Stürmerkollege. Jedoch bringt Hinterseer mehr Pässe an den Mann und setzt seine Mitspieler besser in Szene. Des Weiteren ist der Österreicher deutlich fairer: 14 Fouls stehen gegenüber 54 Fouls, die Verhoek beging. Zudem kassierte „Johnny“ 7 gelbe und 2 gelb-rote Karten. Seine leidenschaftliche Art birgt oftmals das Risiko, das Spiel in Unterzahl zu beenden. Lukas Hinterseer agiert besonnener.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Hinterseer ein wichtiger Bestandteil des Erfolges der Saisonendphase war. Er stellt sich in den Dienst des Teams und erfüllt seine Aufgaben gut. Wenn er nächste Saison noch anfängt, Tore zu erzielen, wie er einst tat, haben wir einen echten Top-Stürmer in unseren Reihen.