Eine gespenstische Stille legte sich kurz vor Anpfiff um das weite Rund des Hamburger Volksparkstadions am frühen Sonntagnachmittag bei sommerlichen Temperaturen. Es war eigentlich alles angerichtet für einen spannenden Schlagabtausch. Doch plötzlich stellten über 54.000 Zuschauer die Gesänge ein – ein fast schon surrealer Moment. Auch wir gaben so gut wie keinen Mucks mehr von uns – und das hatte einen Grund. In diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, dass man sogar eine Stecknadel nicht unbemerkt hätte fallen lassen können. Dann sprach der Stadionsprecher zum Tod Uwe Seelers, während die Nordtribüne, aber auch nahezu alle anderen Fans im Stadion, komplett in Schwarz gehüllt waren und mehrere Banner in Gedenken an den Ausnahmespieler des HSV in die Höhe hielten:
„UNS UWE: Loyal und bescheiden – Der Größte aller Zeiten –R.I.P. UWE SEELER“, waren die emotionalen Worte, die unter die Haut gingen. ‚Haut von Gans‘ würde Löhmi wohl dazu sagen. Spätestens, nachdem der Stadionsprecher die Mannschaftsaufstellung der Hamburger jedes Mal lautstark mit der Identifikationsfigur von der Elbe betitelte, ließ das uns Rostocker Fans nicht kalt. Aber der Reihen nach…

Eine Zugfahrt die ist lustig…
Es war meine persönliche Premiere im Volkspark. Etwas spät. Aber besser spät als nie. Ich wollte mir den ersten Auswärtsauftritt unserer Kogge der Saison 22/23 ganz und gar nicht entgehen lassen. Schon gar nicht bei diesem namhaften Gegner. Da mein Kumpel leider kurzfristig erkrankte, bin ich (zunächst) alleine mit dem Regionalexpress Richtung Hamburg gefahren. Allerdings dauerte es nicht lange, bis sich zwei weitere Hansa-Fans, etwa Mitte 30 und mit Hansa-Flaggen und Anglerhüten ausgestattet, zu mir gesellten. Wir unterhielten uns über allmögliche Dinge, die mit Blau-Weiß-Rot zu tun hatten. Aber vor allem interessierte uns die Prognose für das an jenem Tag stattfindende Spiel. „Also, ich glaube, dass heute was für uns in der Luft liegt. Der Auftritt gegen Braunschweig war alles andere als solide vom HSV“, sagte mein Gegenüber mit einer bereits merklichen Fahne, aber dafür noch bei sehr klarem Verstand. 🙂
Und auch ich, mittlerweile mit einigen Kaltgetränken versorgt, hatte ein ungewöhnlich gutes Gefühl, ja war gar schon sicher, dass die Rautenträger an diesem Tag mit leeren Händen nach Hause gehen würden. In Hamburg angekommen, verabschiedeten wir uns. Zunächst.
Sommer, Sonne, Currywurst
Ich gönnte mir auf dem Weg zum Stadion noch eine 10/10 Currywurst. Die Mittagshitze ballerte mir währenddessen volle Kanne auf die Birne. Ich lief rot an, war mir aber nicht ganz sicher, ob die Sonne oder die extra scharfe Currysoße daran schuld war.

Gegen 12.30 Uhr hatte ich den Hamburger Pott schon in Sichtweite. Pünktlich wie immer. „Was ein Teil“, musste ich staunend anerkennen. Je näher ich dem Stadion kam, desto mehr wurde mir klar, dass das heute kein normales Spiel werden wird. Gefühlt 90 % der HSV-Fans waren ganz in Schwarz gekleidet. Die Ereignisse jener Woche hatte man natürlich auch als Nicht-Hamburger aufmerksam verfolgt.
Ein schnelles Wiedersehen
Nach einigen Foto-Shootings ging es also rein in die riesige Schüssel. Der erste Eindruck war schon ein echter Wow-Moment. Da das Stadion noch fast halbleer war, wirkte es fast noch größer als gedacht. Ich drehte mich wie ein Kreisel, um das Ganze für mich zu visualisieren, da seh ich doch auf einmal die beiden Zug-Kollegen keine 6 Reihen über mir. Was ein Zufall! Sie erkannten mich auch und grölten mir zu und gaben mir Handzeichen, dass ich hochkommen sollte. Also machte ich mich auf den langen Weg zum Schicksalsberg und begrüßte die beiden mittlerweile im Vollrausch krakeelenden Fans zum zweiten Mal. Nach einiger Zeit machte ich bei der Veranstaltung einfach mit und sang in absoluter Schieflage die Hansa-Hymne mit. Der Gästeblock machte schon lang vor Anpfiff ordentlich Alarm.
Nach der Trauerzeremonie rollte der Ball endlich und nach Spielbeginn sangen wir einfach unentwegt weiter. Die HSV-Fans sahen uns schon mit merkwürdigen Blicken an, aber das war uns egal. Wir wollten den Gästeblock auf der anderen Seite nicht im Stich lassen mit unseren Gesangskünsten. Und Hansa war auf den Platz auch gleich voll da nach der Auftaktpleite. Von der prächtigen Atmosphäre angetrieben, wurde die Kogge von Minute zu Minute immer besser und war vor der Pause drauf und dran sich zu belohnen. Wir drei verschwitzten Chorknaben sind auf der Tribüne fast wahnsinnig geworden. Aber wir waren uns sicher: Da passiert noch was! (Glaskugel hatten wir allerdings nicht dabei)
Die Bibbernden von der Ostsee
Und dann kam in der 2. Halbzeit tatsächlich jener Moment, den man als Hansa-Fan nicht allzu oft erlebt, dieser dafür aber umso schöner und intensiver ist. Es lief mittlerweile die fünfte Minute der Nachspielzeit. Unsere Jungs hatten in der zweiten Hälfte Chancen en Masse für ein, ja sogar für mehrere Tore. Aber dieses verdammte Ding wollte einfach nicht über die Linie rollen. Wir drei Kollegen vom Dienst haben irgendwann angefangen in regelmäßigen Abständen zu beten, dass wenigstens der eine Punkt nicht noch aus der Hand gerissen wird. Denn jeder Fußball-Fan kennt die Floskel: Wer die Dinger vorne nicht macht…ihr kennt das ja. Und tatsächlich hatte der HSV in Person von Glatzel kurz zuvor die Chance, das Spiel auf den Kopf zu stellen. Mir fiel das Herz gefühlt nicht nur in die Hose, sondern hatte das Gefühl, es irgendwo im Stadion verloren zu haben. Die Beiden rechts neben mir übrigens auch. Doch dann kam die Erlösung in Person von Schumacher, der zum Solo ansetzte und die Kugel aber mal sowas von die Maschen donnerte! In der 95 (!) Minute wohlgemerkt.
So einen Urschrei hab ich, glaube ich, noch nie aus meiner Kehle von mir gegeben. Wir tanzten wie wilde Kobolde auf der Tribüne hin und her, während einige Hamburg-Fans daraufhin den Heimweg antraten. Ein Moment für die Ewigkeit!
Ich will ja nichts sagen, aber die Zugfahrt…die war toll! 🙂