Text vom Hanseator
Endlich November! Endlich wieder Winterbier! Die obligatorische Spieltagseröffnung in der Trotzenburg geriet so zum ersten Höhepunkt eines ereignisreichen Tages. Als persönliche Spieltagsvorbereitung hatte ich schon seit Mittwoch systematisch die Nahrungszufuhr reduziert, um mich bestens präpariert der Herausforderung Hansa-Buffet zu stellen: Flatrate-Futtern für 10 Euro, eine leckere Sache.
So gestärkt ging es zum Ostseestadion, wo wieder einmal höchste Alarmstufe herrschte. Im Vorfeld hatten interessierte Kreise erneut über den unmittelbar bevorstehenden Ausbruch des Bürgerkrieges spekuliert und so gab es die gleichen Vorkehrungen wie beim Schalkespiel: Fantrennung bereits beim Anmarsch zum Stadion, Pufferzonen links und rechts vom Gästeblock (sicherheitshalber gab es noch eine weitere in Block 26a, direkt neben dem antichaotischen Schutzzaun) und, um ganz sicher zu gehen, totales Alkoholverbot im gesamten Stadion, was aber nicht weiter schlimm war – dann wurde der Stoff eben direkt als Blutbestandteil mit reingebracht.
Viele Fans hatten sich vor dem Spiel Gedanken darüber gemacht, wie wohl die Atmosphäre im Stadion sein würde. Nach den Ereignissen beim Schalke-Spiel und dem daraus resultierenden Stimmungsboykott der Blöcke 27 & 27a gegen den KSC und Offenbach war das Verhältnis zwischen Vereinsvorstand und Fans auf einem Tiefpunkt angelangt, der Gesamt-Fanszene drohte die dauerhafte Spaltung. Dass es dazu nicht kam, ist auch das Resultat zahlreicher vertraulicher Gespräche zwischen Fanvertretern und Vorstandsmitgliedern, bei denen sich beide Seiten wieder vorsichtig annäherten. Der Verein hatte dies bereits mit besonnenen Erklärungen zu den Vorfällen in Bremen deutlich gemacht – nun war es an uns als Fans, ebenfalls ein Zeichen zu setzen. Die Art und Weise, wie dieses dann geschah, wird wohl niemand, der dabei war, je vergessen.
Es sollte ein denkwürdiger Nachmittag werden. Aus Cottbus waren ca. 1500 Fans angereist, die sich im Gästeblock geschlossen präsentierten und beim Auflaufen der Mannschaften für das erste Highlight des Tages sorgten. Im oberen Bereich des Gästeblockes bildeten 13 Cottbusser mit weißen Buchstaben-Trikots das Wort „Ostseestadion“ und erhielten dafür donnernden Applaus. Ich musste erst mal schlucken und war zum ersten Mal (unbeabsichtigt) sprachlos, denn mein ohnehin angekratztes Weltbild geriet nun endgültig ins Wanken – vor zwei Wochen Karlsruhe, nun auch noch Energie. Darf man denn bald gar niemanden mehr hassen? Also – falls diese Zeilen auch in Cottbus gelesen werden: Respekt und vielen Dank für diese gelungene Aktion. So wird das Motto „Getrennt in den Farben – vereint in der Sache“ mit Leben erfüllt.
Dann ging es los. Wer eine mauernde Gastmannschaft erwartet hatte, sah sich schnell eines besseren belehrt. Energie begann forsch und übte Druck auf das Hansator aus. Hansa hatte große Mühe, ins Spiel zu finden und klar strukturierte Angriffe zu entwickeln. Auf den Rängen waren vornehmlich die Gäste zu vernehmen, die die für sie ungewohnte Ruhe im Ostseestadion natürlich ausnutzten (irgendwo hört es mit der „Freundschaft“ auch auf).
Nach 10 Minuten passierte es dann: In Block 27 wurde es unruhig, Fahnen und Doppelhalter wurden verteilt und auf einmal entlud sich die seit zwei Spielen mit eiserner Selbstdisziplin unterdrückte Energie in einem orkanartigen „Hier regiert der FCH!“ der gesamten Südtribüne. Vorbei war die Zeit des erzwungenen und erduldeten Schweigens unserer Kurve, unter der wir alle so gelitten hatten. Endlich sollte wieder das ganze Stadion wie ein Mann hinter der Mannschaft stehen.
Und die Mannschaft schien dies zu spüren. Plötzlich kam mehr Biss in die Aktionen der Spieler und nach feiner Vorarbeit von Victor Agali gelang Enrico Kern das viel umjubelte 1:0, ein Tor, das Energie doch mächtig aus dem Konzept brachte. Bis zur Pause erspielte Hansa sich weitere Chancen. Unter anderem wurde Langen nach unwiderstehlichem Solo im Strafraum von den Beinen geholt, für so etwas gab es auch schon Elfmeter. Bei einer weiteren Möglichkeit für Agali rettete ein Feldspieler für den bereits geschlagenen Tremmel.
In der zweiten Halbzeit bestimmten dann zunächst wieder die Gäste das Spiel und kamen bald zum verdienten Ausgleich durch da Silva, Hansa hatte sich das Spiel zu sehr aus der Hand nehmen lassen. Mitten in den Gästejubel hinein schlug Enrico Kern jedoch erneut zu, als er eine Unstimmigkeit zweier Abwehrspieler und ausnutzte und auch noch Torwart Tremmel mit einem Heber überlistete – 2:1.
Was nun auf den Rängen folgte, hatte das Ostseestadion in seiner traditionsreichen Geschichte so noch nicht erlebt: Block 27 startet gemeinsam mit der Südtribüne eine Uffta und jede einzelne Textzeile wird von der Nordtribüne aus erwidert, begleitet vom begeisterten Applaus der Südseite. Es folgt ein brachialer Wechselgesang Nord – Süd: „Hansa!“ – „Rostock!“ gekrönt durch das 3:1, natürlich durch Enrico Kern. Kann man so etwas überbieten? Um das zu beschreiben, fällt mir ein Dritte-Wahl-Text ein:
„Das sind die Momente,
wo ich, wenn ich es könnte,
wünschte, sie würden nie vergehen.“
Ja, das trifft es wohl am besten.
Das 3:2 in der 90. Minute durch einen schönen Freistoß von Skela sorgt noch einmal kurzzeitig für Nervosität, aber eine Minute später kommt der erlösende Schlusspfiff und Mannschaft und Fans im gesamten Stadion feiern gemeinsam: den langersehnten Sieg gegen Energie, drei wichtige Punkte im Kampf gegen den Abstieg und die „Wiedervereinigung“ der Rostocker Fanszene.
Der November gilt gemeinhin als Inbegriff der Ungemütlichkeit. Besonders feuchte und kalte Witterung wird gern mit dem Synonym „Novemberwetter“ charakterisiert. Es ist die hohe Zeit der Miesmacher und chronischen Pessimisten, kaum jemand verbindet mit dieser Jahreszeit Aufbruch oder Fortschritt, das passt wohl doch eher zum Frühling. Danke an alle, die heute dabei waren und mitgeholfen haben, einen Hauch Frühling in diesen tristen Monat zu tragen.
PS:
Während ich diesen Bericht schreibe und auf das Sportstudio warte, gurgelt bei „Wetten dass“ Celine Dion „My heart will go on“, danach „tanzt“ Alice Schwarzer Rock’N’Roll. Manchmal bin ich wirklich froh, dass ich Fußballfan geworden bin.
Uwe
Danke an Hanseator für dieses Goldstück der Hansa-Historie. Seinen Blog findet ihr unter www.hanseator.de.