Es lief die 53. Spielminute zwischen Duisburg und Hansa Rostock des 23. Spieltags der Saison 2007/08. Mit 36 Jahren war Beinlich immer noch ein Dauerbrenner auf der zentralen Mittelfeldposition. Einzig und allein hartnäckige Leistenprobleme hatten ihn in dieser Saison dazu gezwungen, öfters auf der Bank Platz nehmen zu müssen. Überhaupt hatte Beinlich in seiner Karriere schon öfters mit langwierigen Verletzungen zu kämpfen, kam aber immer wieder mit genug Tatendrang zurück auf den Platz. Doch dieses harte Einsteigen vom Duisburger Tararache war eins zu viel. Beinlich blieb zunächst liegen, hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das linke Knie, wollte aber unbedingt weiterspielen. Doch er merkte, dass da etwas Ernsteres passiert sein musste. Er verließ das Feld drei Minuten später stark humpelnd – Yelen ersetzte ihn. Es sollten die letzten Bundesligaminuten für den Routinier und ehemaligen Nationalspieler gewesen sein. Die Diagnose: Knorpelabsprengung und Außenmeniskusriss im linken Knie. Ein doch relativ plötzliches Ende für Paule. Doch lasst uns die Zeit zurück spulen und an den Anfang des so charismatischen Spielers springen.
Von Ost-Berlin auf die Insel
In Ost-Berlin 1972 geboren und aufgewachsen, lief der kleine Paule als Jugendspieler zunächst für den BFC Dynamo auf, ehe er ab 1988 knappe drei Jahre lang das Trikot für die BSG Bergmann-Borsig Berlin trug (was für eine geniale Alliteration übrigens!). Dort machte er das erste Mal so richtig auf sich aufmerksam und erzielte fünf Tore im Unterhaus der damaligen DDR-Liga. Das erweckte Interesse – auch im Ausland. Nachdem der 19-jährige Beinlich sogar ein Probetraining beim großen FC Bayern absolvierte, schlug der Premier-League Klub Aston Villa zu und verpflichtete den jungen Berliner – sein erster Profivertrag. Er war überhaupt einer der ersten Deutschen, die es auf die Insel zog. Von der 2. DDR-Liga in die ‚First Division‘ Englands – das war ein gewaltiger Sprung. Bei den Birminghamern gelang ihm ein schönes Volleytor zum zwischenzeitlichen 1:0 gegen Newcastle, doch letztlich verlor man das Spiel noch mit 1:5. Viel prägender waren für ihn jedoch in der Zeit die zahlreichen Begegnungen auf dem Platz mit Weltklassespielern wie Eric Cantona (Manchester United).
Mit Hansa zum Durchbruch
1994 dann seine nächste und rein statistisch gesehen, erfolgreichste Station: der FC Hansa Rostock. Gleich am 2. Spieltag gelang ihm gegen den Stadtteilverein und heutigen Erzrivalen aus Hamburg sein erstes Tor – ein Zeichen des Fußballgottes. Mit dem besten Verein der Welt stieg er dann auch im darauffolgendem Jahr in die Bundesliga auf, wurde zwei Mal hintereinander Torschützenkönig im Verein und stellte in der Saison 1994/95 einen Zweitligator-Rekord (15 Tore) für die Kogge auf, welcher erst durch John Verhoek in der letzten Saison gebrochen wurde. Seine Freistöße kamen brandgefährlich, sodass der gegnerische Torhüter die ein oder andere Kirsche aus dem Winkel kratzen musste. Ganze 34 Buden schoss der vorwiegend im offensiven Mittelfeld aufgestellte Paule in 101 Spielen für die Kogge – eine wirklich ansehnliche Ausbeute. Dabei schoss er sich in die Herzen der Ostseestädter und war in der Startaufstellung nicht mehr wegzudenken.

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Freistoßkünstler in Leverkusen
Das weckte natürlich abermals Begehrlichkeiten, insbesondere in der Bundesliga. Am Ende machte Bayer 04 Leverkusen das Rennen und holte den Mittelfeld-Allrounder für 1,25 Mio. Euro in das Ruhrgebiet – und spülte Hansa eine enorme Geldsumme in die Kassen. Bei Leverkusen entwickelte sich Beinlich zu einem wahren Freistoß-Künstler und zirkelte die Bälle in aller Regelmäßigkeit in die Maschen. Manchmal klatschten die Torhüter, die vergebens noch den Ball irgendwie über die Latte lenken wollten, unglücklich mit dem Kopf noch an den Pfosten. Er schlug bei der Werkself voll ein und konnte dementsprechend in den drei Jahren (1997-2000) einige Erfolge nachweisen. 1998 kam er mit seiner Mannschaft bis ins UEFA-Champions-League Viertelfinale und in den darauffolgenden Saisons wurde er jeweils Vizemeister. Für den ganz großen Triumph sollte es dann doch nicht reichen.
(Kurzes) Engagement in der Nationalmannschaft
Mit 24 Toren aus 80 Ligaspielen hatte er gute Chancen sich in die doch angeschlagene deutsche Nationalmannschaft einzugliedern. Und dies geschah auch. Erich Ribbeck erkannte sein enormes Potenzial und nominierte ihn für das Freundschaftsspiel gegen Malta im September 1998. Doch von Verletzungen geplagt, die zum ungünstigsten Zeitpunkt kamen und ihn ausbremsten, kam er nur lediglich auf fünf DFB-Einsätze. Beim 4:1 gegen Spanien im Jahr 2000 lief er das letzte Mal mit dem Adler auf der Brust auf – das zeitgleich erste Spiel unter Rudi Völler, der zwei Jahre später völlig überraschend mit seiner Mannschaft Vizeweltmeister wurde.
Mittelfelddirigent bei der Hertha und dem HSV
Nach drei doch erfolgreichen Jahren in Leverkusen entschloss sich der Mittelfelddirigent 2000 erneut für einen Tapetenwechsel. Es ging zurück in seine alte Heimat – zur Alten Dame. Dort gab er im Olympiastadion die Richtung vor und wurde sofort Leistungsträger. Allerdings warfen ihn abermals Verletzungen zurück, sodass sein Potenzial auch in Berlin nicht vollends zur Geltung kam. Immerhin konnte er mit der Hertha die vorderen Plätze der Bundesliga festigen und trug mit 8 Toren in 64 Bundesligaspielen zu der positiven Entwicklung bei (das sieht ja bekanntlich beim ‚Big City Club‘ heute ganz anders aus). Auch dieses Mal endete sein Engagement bei einem Bundesligaverein nach drei Jahren.
Beim HSV, weit im hohen Norden der Republik, hatte Paule eine insgesamt harmonische Zeit. Auch hier fiel der Mittelfeldmann durch seine scharf angeschnittenen Freistöße auf. Allein drei seiner insgesamt fünf Tore in der Liga für den Bundesliga-Dino erzielte er per direkten Freistoß. Da konnte sich Ronaldinho ruhig eine Scheibe von abschneiden. 2006, zum Abschluss seiner Zeit bei den Norddeutschen, schaffte er mit den Rautenträgern die CL-Qualifikation.
Auf- und Abstieg mit der Kogge
Mit zunehmendem Fußballalter wollte sich Beinlich anschließend nochmal im Unterhaus beweisen und kehrte schließlich zu seinem Herzensverein zurück – dem FC Hansa Rostock. 2007 feierte er unter Frank Pagelsdorf als Kapitän den viel umjubelten Wiederaufstieg in die 1. Fußballbundesliga. Es sollte der letzte große Erfolg für Stefan Beinlich gewesen sein. Die eingangs erwähnte Verletzung schmerzte die Hansa-Kicker in der darauffolgenden Saison sehr. Er fehlte als Mittelfeldmotor an allen Ecken und Enden, sodass er nur zusehen konnte, wie die Kogge, ein Jahr nach dem Aufstieg, direkt wieder den Gang in die 2.Liga antreten musste.
Karriereausklang? Nix da!
Seine Karriere klang er an der Verbandsliga aus und spielte noch ein paar Spiele für den SV Warnemünde Fußball. 2009 bekam Beinlich sein verdientes Abschiedsspiel im heimischen Ostseestadion vor 18.900 Fans, wo er ausgelassen verabschiedet wurde. Nachdem Rostock 2010 in die Drittklassigkeit stürzte, heuerte Paule als Manager beim FC Hansa an, und hatte einen wesentlichen Anteil am sofortigen Wiederaufstieg in die 2. Liga. 2019 wurde er schließlich Leiter des Nachwuchsleistungszentrums und sorgte zuletzt mit den Aufstiegen der U-17 und U-19 Juniorenmannschaften der Kogge für ordentlich Schwung und Optimismus.
Danke für Alles, Paule!