Warum die Tabellenspitze die eigentliche Leistung nicht widerspiegelt
Der FC Hansa ist optimal in die Saison gestartet – zumindest auf dem Papier. Nach drei Pflichtspielen steht man in der zweiten Runde des DFB-Pokals und grüßt von der Tabellenspitze der zweiten Bundesliga. Es riecht nach dem Aufkommen glorreicher Zeiten am Ostseestrand. In den letzten zehn Pflichtspielen holte man 8 Siege, spielte einmal Unentschieden und verlor lediglich ein Duell. Doch diese Serie steht auf wackligen Beinen, denn trotz des Erfolges sind klare spielerisch-taktische Defizite zu erkennen.
Knackpunkt Flügelverteidigung und das System Schwartz
Der FC Hansa Rostock hat sich unter Schwartz im Endspurt der letzten Spielzeit von der Viererkette emanzipiert und setzt auch in dieser Saison auf eine Dreier-/Fünferkette. Explizit handelt es sich zumeist um Variationen eines 3-4-3 oder 3-4-1-2. Zentral sind hierbei Innenverteidiger und Flügelverteidiger, die unglaublich flexibel agieren müssen. So fungieren der LIV und RIV als Halbraumverteidiger, welche das Spiel lesen müssen und sich abhängig der Bewegung des Flügelverteidigers nach außen verschieben müssen. Die Flügelverteidiger hingegen spielen eine essenzielle Rolle im Offensivspiel, da sie die Außenbahn besetzen, müssen aber gleichzeitig die Wage halten und dafür Sorgen, dass die Absicherung nach hinten stimmt. Diese Wichtigkeit der Flüpgelverteidiger sehe ich bei der Besetzung des Kaders kritisch. Neidhart und Schumacher sind, technisch gesehen, eher ein Schwachpunkte, ihre ständigen Flanken Sorgen für verhältnismäßig wenig Gefahr. Defensiv agieren sie hingegen häufig souverän, beide ackern leidenschaftlich und verfügen über hohes Tempo.
Probleme im Zentrum
Ein Grund dafür, dass die Flanken so harmlos sind, ist die schwache Strafraumbesetzung. Pröger und Ingelsson verfügen keineswegs über die nötige Präsenz eines Mittelstürmers. Zudem sind beide nicht Kopfballstark. Wen sucht man im Zentrum? Bachmann? Hier findet sich jedoch das nächste Problem, Bachmann ist durch sein ständiges Vorstoßen stets außerhalb seiner Position. Zudem agiert Dressel enorm defensiv, quasi als tiefer Sechser. Das Zentrum ist häufig leerer Raum, das Mittelfeld ist total unterbesetzt, während am Strafraum meist vier Spieler offensiv positioniert sind. Theoretisch sind Bachmanns Vorstöße kein grundlegendes Problem, jedoch fehlt durch Dressels Positionierung die direkte Absicherung, es ist viel Raum im Mittelfeld offen. Die Abwehrkette hat somit Probleme, Anspielstationen im Zentrum zu finden. Daraus resultieren lange Bälle.
Das Vertrauen auf den langen Ball
Und hier stellt sich für mich die nächste Frage. Wie kommt man auf die Idee, lange Bälle zu spielen, wenn man keinen echten Neuner aufstellt, der die Kugel festmachen kann. Ingelsson und Pröger können es nicht, Bachmann sollte nicht so hoch stehen. Auch Spieler wie Singh, Kionsombi oder Fröling sind keine Kopfballungeheuer. Man schenkt die Kugel jedes Mal her. Für mich liegt hier ein klarer taktischer Fehler vor. Im Sommer wurde extra Spielermaterial verpflichtet, welches darauf ausgelegt ist, flach und/oder vertikal zu spielen. Wenn wir es nur über den langen Hafer lösen wollen, hätte man sich einige Transfers sparen können.
Warum Hansa den Mittelstürmer braucht
Gerade die zweite Hälfte im DFB-Pokal und die Schlussphase in Elversberg hat bewiesen, in welche Richtung es gehen muss. Erstens: Hansa agiert deutlich besser, wenn ein echter Mittelstürmer seine körperliche Präsenz auf den Rasen bringt. Nach den Einwechslungen von Perea und Hinterseer änderte sich die Dynamik im Spiel vollends. Zweitens: man spielt deutlich besseren und erfolgreicheren Fußball, wenn man den Ball flach spielt. Nicht jede Aufbausituation sollte mit dem langten Schlag gelöst werden, flache Kurzpässe durch das Zentrum sind ein deutlich besseres und schwieriger zu verteidigendes Mittel.
Problemfall Eckball
Ein weiteres Problem sind die Standardsituationen – defensiv wie offensiv. Hinten ist man in extremen Maße anfällig. Gerade der zweite Ball im Rückraum wird katastrophal verteidigt. Ständig kommen Gegenspieler von der Strafraumkante, oder sogar im Zentrum, zum Abschluss. Beide Pflichtspielgegentore resultierten aus Eckbällen. Zudem sind die eigenen Standardsituationen zu harmlos. Aus 20 Ecken gegen den FSV Frankfurt konnte man kein Kapitel schlagen. Eventuell muss man kreativere Lösungen finden.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass man mit Ball eine verbesserte Spielidentität entwicklen muss. Denn sonst werden wir auf Dauer ein Team bleiben, welches gegen den Abstieg spielt. Denn eines lässt sich sicher sagen, ohne Markus Kolke könnten wir jetzt auch mit 0 Punkten und einem Ausscheiden im Pokal dastehen. Der FC Hansa Rostock hatte in dieser Saison Glück wie kein zweites Team. Und Glück sollte man keinesfalls ausreizen, sondern die Erfolge dankbar mitnehmen und die Schwächen ausmerzen.
Taktische Änderung
Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir einen weiteren Flügelverteidiger für die linke Seite verpflichten. Die Konkurrenz für Schumacher ist zu gering. Des Weiteren würde ich Bachmann mit Rhein austauschen, der deutlich mehr spielerische Qualitäten mitbringt. Auch Vasiliadis ist ein Kandidat. Zudem würde ich Dressel wieder etwas mehr Freiheit nach vorne geben. Perea muss starten, sobald er das nötige Fitnessniveau erreicht hat. Das Experiment Ingelsson auf der Neun ist für mich gescheitert. Eventuell könnte er wieder auf den Flügel rücken und so eine Zange mit Pröger bilden, die sich etwas nach innen orientiert. Somit wäre das Zentrum wieder deutlich besser besetzt und es wäre mehr Spielkultur auf dem Rasen, sodass man Situation besser lösen kann.

Danke an Niklas und Willem für ihre Hilfe!